Spätblüher
Gerrit ist 42 Jahre alt, Vater einer 15-jährigen Tochter und von seiner Frau geschieden. Es braucht einen Sommer, bis er realisiert, dass er neu verliebt ist. In einen Mann, seinen besten Freund.
Das zu realisieren passiert nicht über Nacht. Sich Gefühle einzugestehen, Ängste zu überwinden oder sie überhaupt zuzulassen.
Spät outen bzw. erst spät entdecken, nicht heterosexuell zu sein, birgt eine andere Art von Hindernissen. Und ein Sommer ist eine kurze Zeitspanne des Coming-Outs im Gegensatz zu manch anderen.
Bleiben wir bei Gerrit.
Er ist in einer ländlichen Gegend aufgewachsen, hat als Jugendlicher mit der eigenen Vergangenheit als adoptiertes Kind gekämpft und ist mit Ende zwanzig unverhofft Papa geworden und hat geheiratet. Es gab wenige Momente für ihn, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen oder sie überhaupt zu entdecken. Sein Umfeld ist ziemlich heteronormativ geprägt und er stellte sich nie die Frage, ob es einen anderen Weg des Empfindens gibt. Und dann passiert es. Bäm, verliebt. Mit allem, was dazugehört. Kribbeln im Bauch, Erregung, unentwegt an ihn denken.
Aber auch: Zweifel. Angst.
Warum ein Mann? Wieso er? Und wenn er es auch möchte? Wie geht meine Familie damit um? Was sagen Freunde? Arbeitskolleg:innen? Wie sage ich es dem eigenen Kind? Und wird darüber im Elternkreis geredet?
Du weißt es nicht, bis du darüber gesprochen hast.
Ich denke, ein guter Weg ist, sich Zeit zu nehmen, den eigenen Gefühlen Raum zu geben.
Sicher, Teile unserer Gesellschaft sind noch nicht so offen und liberal, wie sie sich gerne geben. Darüber sprechen kann helfen. Offen und ehrlich, gerade mit den eigenen Kindern. Schließlich bleibt man derselbe Mensch wie »vorher«.
Meine Geschichte ist fiktiv. Benennt den ersten Unglauben, das Verdrängen bis zum Eingestehen, die inneren Zweifel. Aber auch die schönen Seiten.
Für diejenigen, die damit noch kämpfen: Es gibt Coming-Out Gruppen für Spätblüher. Menschen ab 30 oder ab 40. Der Austausch kann wichtig sein und das Wissen, nicht allein mit seinen Zweifeln oder Problemen dazustehen. Denn was ist denn bitte schöner, als endlich glücklich zu sein, mit dem, was und wie man fühlt?