Rote Fäden

Manchmal stelle ich mir vor, verbunden zu sein mit jemandem. Vollkommen und unwiderruflich. Ohne die Bürde einer gesellschaftlichen Regel und ohne die empfundene Schwere bei dem Gedanken an eine Verbindung.

Diese Verbindung bestünde einfach. Währt fort, immerdar. Eine Verlässlichkeit in den Turbulenzen des Lebens. Und diese Vorstellung lässt etwas Warmes in meinem Inneresten ausbreiten. Berührt das Dunkel, was da ist, selbst wenn die Sonne scheint. Zupft daran und legt sich heilsam darum. Flüstert: Du bist nicht einsam, auch wenn du gerade allein bist.
Ich bin verbunden mit jemandem und jemand mit mir.

Nur manchmal reicht die Vorstellung alleine mir nicht aus. Dann schafft sie es nicht, mich zu überzeugen, dass sie genug ist. Sie ist mir zu vage in der Hässlichkeit der Welt und ich sehne mich nach etwas Greifbarerem als den puren Wunsch, nicht einsam zu sein. Nicht nur innerhalb des dicht gewebten Netzes der Verbindungen anderer zu stehen. Ich stelle sie mir wie dünne Stränge vor, die sich mal fester, mal loser um mich herum spannen. Ein Wirrwarr roter Fäden.
Wenn ich durch die Straßen gehe, sind sie da. In der Bahn, im Büro. Überall. Verknüpfen uns miteinander, sobald wir uns begegnen.

Mit wem bin ich verbunden? Wohin reichen meine roten Fäden?


Veröffentlichung
23.07.2023 um 17:07
Kategorie
Kurzgeschichten