Frisörbesuch
Ich sitze und warte. Mein T-Shirt klebt an meinem Rücken. Der blaue Samtstoff der Stühle im Frisörsalon lässt mich schwitzen und die Hitze mischt sich mit der Sommerwärme, die durch die geöffnete Tür dringt.
Der Termin ist spontan. So spontan, wie man nach einer Trennung sein kann. Vor einer halben Stunde habe ich mich durchgerungen. Du bist weg und die Haare sollen ab. Weg mit der Erinnerung der letzten Monate. Vor mir werden abgeschnittene Haare mit einem Besen zusammengefegt und verschwinden im Mülleimer. Dorthin wird ein Teil meiner Haare in den nächsten Minuten ebenfalls verschwinden. Gerne würde ich die schweren Gedanken hinterherwerfen. Damit sie nicht immer wieder aufkommen, wenn ich an dich denke. Neu werde ich aussehen, frischer. Am Montag werden sie mich im Büro fragen, warum ein neuer Haarschnitt dran war. Muss es immer einen Grund geben für eine äußere Veränderung? Nein, denke ich.
Ein Luftzug weht durch die Tür und ich rutsche aufrechter im Stuhl zurecht. Das ist das, was ich jetzt brauche. Mit kurzen Haaren die Sommerhitze spüren. Vielleicht gönne ich mir später ein Glas Wein am Strand. Warum nicht? Allein ist es auch nett. Und wenn ich, wie vor einer Woche, meine Kollegin mit ihrem Mann in dem kleinen Beach Club treffe, werde ich sagen, dass ich genauso gut allein den Sommer genießen kann. Ohne dich. Und den mitleidigen Blick von ihr werde ich selbstbewusst weglächeln. Sie muss ja nicht wissen, dass du gegangen bist. Ihr Kommentar vom letzten Wochenende, dass wir beide doch gut zusammenpassen und endlich nicht mehr allein sind, klingt nach in meinem Ohr. Was solls? Darf man mit Ende dreißig kein glücklicher Single sein?
Im Radio läuft »I got you Babe« von Sonny and Cher und ich starre angestrengt in den Spiegel des Frisiertischs vor mir, bis ich bemerke, dass ich mit zusammengezogenen Augenbrauen die Frau davor ins Visier genommen habe. Schnell schaue ich zur Seite. Vielleicht war das mit dem Frisör doch keine so gute Idee. Vielleicht sollte ich mich einfach still und heimlich aus dem Salon stehlen. Will ich wirklich so offensichtlich eine Veränderung ausstrahlen?
»Du kannst dich hierhin setzen.«
Ich schrecke aus meinen Gedanken auf, nicke der Frisörin zu und nehme im nächsten Stuhl Platz. Blass sehe ich aus, trotz des Sommerwetters. Ich sage mir, dass man ungeschminkt und mit langen, nicht frisierten Haaren in Frisörspiegeln immer so aussieht. Später wird es besser sein. Mit Sicherheit. Frisörsalons haben so eine Magie an sich. Ein bisschen wie Mini-Playback Show, in light.
»Was darf es sein?«
Ich räuspere mich. »Ich hab mir so einen kurzen Bob vorgestellt, bis hier ungefähr.« Und ich zeige ein Stück über mein Kinn. Zwei Drittel meiner Haare werden wohl weichen müssen.
Die Frisörin nickt und nimmt prüfend ein paar Haarsträhnen in die Hand. »Alles klar. Kriegen wir hin. Gibt’s einen Anlass?« Sie grinst mich durch den Spiegel hin an und ihr Lippenpiercing blitzt auf. »Egal, was es ist, danach geht’s dir besser.« Sie umrahmt mein Gesicht mir ihren Händen, die nach Shampoo duften. »Du hast das Gesicht für einen Bob.«
Ich grinse zurück. Mein Mut hat die Farbe der knallroten Shirts der Frisörin angenommen und endlich fühlt sich das Atmen leichter an.